Praxis für systemische Einzel-, Paar- und Familientherapie
Ganz da sein – aus dem Zen-Buddhismus
Ein Mann wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so glücklich, gelassen und humorvoll sein könne.
Er sagte: „Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich arbeite, dann arbeite ich, wenn ich esse, dann esse ich, wenn ich liebe, dann liebe ich, wenn ich schlafe, dann schlafe ich…
Dann fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten: Das tun wir auch, aber was machst du darüber hinaus? Er sagte wiederum: Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich arbeite, dann arbeite ich, wenn ich esse, dann esse ich, wenn ich liebe, dann liebe ich, wenn ich schlafe, dann schlafe ich… Wieder sagten die Leute: Aber das tun wir doch auch!……
Er antwortete: Wenn ihr sitzt, dann geht ihr schon, wenn ihr esst, dann arbeitet ihr schon, wenn ihr arbeitet….
Die Reise (Mary Oliver)
Eines Tages wusstest du endlich,
was zu tun war, und hast begonnen,
obwohl die Stimmen um dich herum
dir weiter ihren schlechten Rat zuriefen –
obwohl das ganze Haus
zu zittern begann
und du wieder spürtest,
wie etwas an deinen Knöcheln zog.
“Mach mein Leben besser!”
riefen sie alle.
Aber du bist nicht stehengeblieben.
Du wusstest, was du zu tun hattest,
obwohl der Wind
mit seinen steifen Fingern
an den tiefsten Fundamenten rüttelte,
obwohl ihre Trauer
so schrecklich war.
Es war schon spät genug,
und eine stürmische Nacht
und der Weg war voll von herabgefallenen
Zweigen und Steinen.
Aber Schritt für Schritt,
während du ihre Stimmen hinter dir ließest,
begannen die Sterne
durch die Wolkendecke zu glühen,
und da war eine neue Stimme,
die du langsam
als deine eigene erkanntest,
die bei dir blieb,
als du tiefer und tiefer
in die Welt gingst,
dazu bestimmt,
das einzige zu tun, was du tun konntest,
dazu bestimmt,
das einzige Leben zu retten, das du retten konntest.
Was mich bewegt (R.M. Rilke)
Man muss den Dingen
die eigene, stille,
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt,
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann;
alles ist Austragen –
und dann Gebären…
Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen
des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind,
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos still und weit …
Man muss Geduld haben,
gegen das Ungelöste im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antwort hinein.
Das Loch in der Straße (Sogyal Rinpoche)
Ich gehe eine Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch.
Ich falle hinein.
Ich bin verloren.
Ich bin ohne Hoffnung.
Es dauert endlos, wieder hinauszukommen.
Nach einer Zeit gehe ich dieselbe Straße entlang.
Ich erinnere mich: Da war das tiefe Loch.
Ich gehe und falle wieder hinein.
Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein.
Ich krabble mühsam wieder heraus und es dauert sehr lange.
Nach einer Zeit gehe ich dieselbe Straße entlang.
Ich sehe das Loch in der Ferne.
Dieses Mal werde ich nicht hineinfallen.
Ich starre auf das Loch und ich will nicht hineinfallen und
starre und will nicht und starre und will nicht und starre …
Ich falle hinein.
Dieses Mal komme ich schneller heraus.
Nach einer Zeit gehe ich dieselbe Straße entlang.
Ich sehe das Loch in der Ferne.
Ich gehe darum herum.
Nach einer Zeit gehe ich dieselbe Straße entlang.
Ich sehe das Loch in der Ferne.
Ich kehre um.
Ich gehe eine andere Straße entlang.
Pflichtbewusstsein (Laotse)
Verantwortung ohne Liebe macht rücksichtslos.
Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart.
Wahrhaftigkeit ohne Liebe macht kritiksüchtig.
Klugheit ohne Liebe macht betrügerisch.
Freundlichkeit ohne Liebe macht heuchlerisch.
Ordnung ohne Liebe macht kleinlich.
Sachkenntnis ohne Liebe macht rechthaberisch.
Macht ohne Liebe macht grausam Ehre ohne Liebe macht hochmütig.
Besitz ohne Liebe macht geizig.
Glaube ohne Liebe macht fanatisch.
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